Sabine Käppler
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Ein Deckbett aus Papier…
— text Maarten de Reus

Ein Deckbett aus Papier / Gesichter aus Brot / ein Ritter auf einem Ast / Schneebälle aus Porzellan / ein Ventilator aus zusammengenähten Blättern / Afrika aus Eis / ein gefährliches Tier in einem Innenhof / Brote aus Ton / Blindenschrift auf Seife / ein Eisbär-Anzug in Südafrika …

Sabine Käppler ist eine professionelle Übersetzerin : sie übersetzt und transportiert. Durch ihr Zutun gerät etwas wieder irgendwo anders hin, verlässt das eigene Biotop.

Das bedeutet, dass etwas aus einem ganz anderen Material erstellt wird, als man es erwarten würde. So wird zum Beispiel ein modelliertes Gesicht – nicht etwa aus Ton, sondern aus Brotteig – aus dem gewohnten Bereich der Bildhauerkunst in die Küche hinein manövriert.

Schneebälle landen, weil sie aus Porzellan geformt sind, im Geschirrschrank und sind nicht Teil eines Wintervergnügens. Oder ein Ventilator: zusammengenäht aus Blättern, die er eigentlich wegwehen sollte.

Anderseits sind die räumlichen Verschiebungen manchmal wortwörtlich aufzufassen. So hat der gesamte afrikanische Kontinent auf einer Landkarte das Eis von Grönland geliehen. Ein eigenartiges Tier hat in dem Innenhof einer Galerie sein bereits bizarr abgegrenztes Territorium verlassen.

Und schon taucht ein Eisbär trampend in Südafrika auf.

Indem sie alles an einen anderen Ort platziert und die gewohnte Gestalt der Dinge verändert wird alles, was Sabine Käppler in die Hände nimmt, von Neuem erfahrbar.

"… das Beste, was man tun kann, ist also alle Dinge als unbekannt anzusehen und spazieren zu gehen oder sich unter Bäumen oder im Gras auszustrecken und alles noch einmal von vorn anzufangen …", sagte Francis Ponge einmal. Dies ist das Motto von Sabine Käppler, und es scheint, als funktioniere es auch noch.

 
Anfangen, was nie aufgehört hat
— text Alex de Vries

Im grünen Stadtrandgebiet Rotterdams bei Berkel en Rodenrijs, neben einem Vogelschutzgebiet, jedoch auch in bedrohlicher Nähe eines vorrückenden Gewerbeparks, lebt Sabine Käppler (Stuttgart 1966) mit ihrem Mann und drei Kindern. Seit knapp zwei Jahren arbeitet sie auf ihrem Hof in einem angebauten Atelier an neuen Werken, nachdem sie ihre Rolle als Künstlerin jahrelang nicht mehr mit bildlicher Kunst für Präsentationsorte, Galerien und museale Räume erfüllte. „Durch meine Familie kam ich eine ganze Weile nicht zur konzentrierten Atelierarbeit. Im schaffenden Sinne habe ich mich vor allem auf die Einrichtung unseres Lebens an diesem außergewöhnlichen Ort gerichtet.“

Ein geschlossenes Lebensumfeld ist für Sabine Käppler kein Neuland. Während ihrer Kindheit und Jugend in Stuttgart verbrachte sie viel Zeit auf der Schwäbischen Alb, wo ihr Großvater eine einfache Waldhütte für seine Streifzüge durch die Landschaft besaß. Sie fühlte sich intensiv mit dem einfachen Naturleben in den Wäldern verbunden. Ihre Mutter war an der Fachhochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd zur Goldschmiedin und Schmuckdesignerin ausgebildet worden, jedoch durch eine unheilbare, progressive Krankheit gezwungen, ihre Arbeit einzustellen. Sie starb, als ihre Tochter 19 war, und in ihre Fußspuren trat, indem sie dieselbe Fachhochschule besuchte, um dort Schmuckdesign zu studieren.
„Hinsichtlich Innovation und konzeptueller Ausgangspunkte war das für Gestalter eine sehr gute Schule. Meine Fachrichtung jedoch legte den Schwerpunkt allzu sehr auf das Handwerk, ausschließlich auf Form und Technik. Von Anfang an hatte ich andere Vorstellungen und war mehr auf skulpturales Denken als auf Schmuckdesign gerichtet. Ich bekam auch die Gelegenheit, dieses Interesse zu entwickeln. So konzipierte ich für den Auftrag, einen Hut zu entwerfen, einen Windhut, einen Regenhut und einen Wolkenhut, die nicht in erster Linie funktionell waren, sondern sich als metaphorische Bilder verstanden. Im Rahmen eines Studienausflugs besuchten wir die Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam, von der ich schon gehört hatte. Dort wurde, ausgehend von der freien Kunst, Schmuck-, Glas- und Keramikdesign ganz anders angegangen, als ich aus Deutschland gewohnt war. Nach meinem Abschluss 1992 ging ich im darauffolgenden Jahr zur Rietveld Academie und machte dort meinem Bachelor. Danach absolvierte ich den Master Autonome Kunst am Sandberg Instituut. Seit 1998 arbeite ich als professionelle Künstlerin und war ein paar Jahre lang intensiv in der Kunstszene aktiv.”

Das Basisjahr an der Rietveld Academie betrachtet sie als läuternde Zeit für ihr künstlerisches Schaffen. „Dort wurde alles umgestürzt, war ich mir notgedrungen angeeignet hatte. Ich begriff, dass sich die Gestaltungsprinzipien, die ich zu beherrschen erlernt hatte, auch frei anwenden ließen. Ich konnte den Materialien mit transformierendem Charakter treu bleiben, die mich schon von klein auf fasziniert haben, wie etwa Bienenwachs. An der Rietveld Academie habe ich zum Beispiel Wärmflaschen aus Bienenwachs gemacht, die durch ihr materielles Aussehen eigensinnig anmuten, ihre Funktionalität jedoch leugnen, sobald man sie mit heißem Wasser füllen würde; dann würde das Wachs schmelzen.”

Mit ihrer skulpturalen Arbeit stellt Sabine Käppler eine Verbindung zwischen organischen Materialien, körperlicher Verfassung und mentalen Prozessen her. Dieser dreifache Zusammenhang verleiht ihrem Werk trotz der tastbaren Form etwas Ungreifbares. Sie fertigt ihre arbeitsintensiven Werke von Hand an. In der Konzentration der sorgfältig ausgeführten Handlungen wird der Verstand praktisch ausgeschaltet. Sie erschafft in der Ruhe und Stille ihrer Lebensumgebung, die in der stadtnahen Infrastruktur wie ein Auge im Sturm ist. Atelier und Haus liegen hinter einer klassischen holländischen Poldermühle, die inmitten der industriellen Bebauung, die die alte Landschaft allmählich verschluckt, ein bedeutungsvoller Fremdkörper geworden ist.

Als Nährboden für ihre Arbeit sammelt Sabine Käppler Gegenstände und Bilder, die sie nicht vergessen will. Aus ihrem umfangreichen Vorrat trifft sie immer wieder eine Auswahl. Sie verfremdet die Dinge von ihrem Ursprung, indem sie ihnen andere Funktionen verleiht, die verstärken, was sie im Wesen in sich tragen. Eine heilende Kraft, mit der man sich gegen das unentrinnbare Schicksal der Endlichkeit des Seins zur Wehr setzen kann – betrachtet man dieses lediglich im Hinblick auf Leben und Tod.
In Sabine Käpplers Werk fängt etwas an, was nie aufgehört hat. Überträgt man das auf ihre Laufbahn, könnte man sagen, dass sie sich in den zehn Jahren, da sie mit ihrem Werk nicht in der professionellen Szene erschien, grundlegend die Zeit genommen hat, Künstlerin zu sein. „Das Leben als solches ist mein künstlerisches Schaffen. Die Wertschätzung für meine Arbeit erfolgte eine Weile im kleineren Rahmen, war aber für mich nicht weniger wichtig. Ich kreiere für Menschen. In meiner Arbeit muss ich aufmerksam sein, Geduld haben und sorgfältig mit der Willkür des Lebens umgehen. Man kann es mit dem Auftragen einer japanischen Lackschicht auf Holz vergleichen. Alles, was ich erschaffe, ist eine Form von Schutz der Verletzlichkeit, die ich sichtbar mache.”

In einigen Collagen komponierte die Künstlerin aus Fotos ausgeschnittene Bienen zu halluzinierenden, geometrischen Figuren oder ließ sie just in Schwärmen auseinander fallen. Bienen zeigen einander den Weg zu Nahrungsquellen, indem sie einen Tanz aufführen. Bei Sabine Käppler wird die Choreografie dieses Tanzes zerrüttet. Hat sie in der einen Collage das Muster eines Sonnenblumenkopfes ausgearbeitet, lässt sie die Bienen in einer anderen völlig entgleisen. Somit thematisiert sie den Zusammenhang zwischen Ordnung und Chaos, die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Bewegung, Gegenbewegung und Stabilität. In ihrem Werk löst sich etwas in sich selbst auf. Bildlich in den Griff bekommen, was unerklärlich ist, motiviert sie zur Verwendung natürlicher Materialien – das verleiht ihr Halt.

Die Gegensätze in ihrer Arbeit sind nicht dualistisch, sondern stehen auf mehrfache Weise derart miteinander im Widerspruch, dass sie verstärkend aufeinander wirken. Ihr Interesse an Kakteen, die sie wie ihre ausgeschnittenen Bienen in schier endlosen Mengen auf amorphe Formen klebt, mündet in Objekten aus, die gleichwohl verführerisch, schmerzhaft und heilend sind. Die Formensprache, der sie sich in diesem Werk bedient, ist gerade das Formlose, hinter dem sich nichts anderes verbirgt als Verspieltheit, Humor und Farbe. Sie füllt Fächerverpackungen aus Karton, den Bienenwaben entlehnt, mit flüssiger Wachsmalkreide zu einem bunten Untergrund, oder sie baut aus Ölpastellkreide stringente Muster, die sich nach einer freien Form zu sehnen scheinen. Sabine Käppler: „Mit den Farben will ich weitermachen. Mein Großvater führte eine Schmierölhandlung. Seine Werkstatt stand voller Ölgemische in ausgeprägten Blau- oder Grüntönen. Die Erinnerung hieran spielt bei meinen Farberforschungen eine Rolle: Wie wirken Farben auf uns, wie entstehen sie? Das Atelier gleicht dann dem Labor eines Alchemisten, der etwas Wertvolles erzeugen will aus etwas, was kaum Wert hat. Vor vielen Jahren, nach einem Besuch an Asien, wo überall Buddha-Statuen standen, habe ich zahlreiche golden glasierte Buddha-Statuen gemacht, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Ich habe sie alle zu einer einzigen zusammengeballten Form zusammengefügt, transformed buddhas.“ Eine ähnliche transformierte Spiritualität kehrt in ihren Schneebällen aus Porzellan wieder, bei denen sie den Schmelzprozess erhärtet und erschwert hat, ihren Skulpturen aus gebackenem Brot mit menschlichen Gesichtern oder ihren weißen Seifenstücken mit Brailleschrift, mit denen der Tastsinn weggewaschen wird.

Sabine Käppler ist immer bildende Künstlerin. Kein Moment geht verloren. Joseph Beuys berühmten Satz paraphrasierend sagt sie: „Für mich ist immer Wochenende; alles muss aufgeräumt sein, um anfangen zu können.“

Alex de Vries

 
Der Blick hinter die Dinge
— text Jos Houweling

Mein Neid erwachte, als ich ihre Kaktuscollagen (Studien 2019) zum ersten Mal sah. Sie lagen aufeinander gehäuft zu einer ovalen Schale. Kakteen, die aussahen wie verängstigte Tiere. Stechend und bezaubernd zugleich.

Diese räumliche Collagen hätte ich gerne selbst konzipiert. Wenn ich ehrlich bin, war ich schon früher eifersüchtig auf ihre Portraits aus gebackenem Brotteig. Früher oder später haben wir alle ein Brotteiggesicht. Bis es so weit ist, lieber Leser, liebe Leserin, nehmen Sie sich die Zeit, sich noch weitere Werke von Sabine Käppler anzusehen. Fangen Sie mit einem der goldenen Steine ('Transformierte Buddhas') an. Sie atmen Größe und unermesslichen Reichtum und entbehren doch den Ballast von Besitz. Greifen Sie zu, fühlen Sie. Es ist ein Festhalten unter Vorbehalt. Denn Sabines Kunst ist nicht zum Festhalten gedacht, sondern um drum herumzulaufen. Faszinierend sind auch ihre 'Loops': Kleine Elemente, die gemeinsame eine erstarrte Reise antreten. Oder sind es Gedankensprünge? Kunst ist immer eine Sache des Betrachtenden, der die Bedeutung selbst erfassen und bereit sein muss, dieser Bedeutung wiederum keine endgültige Bedeutung beizumessen.

Sabine Käppler setzt sich auch mit Bienen auseinander – eine jahrelange große Liebe. Sie füllt Bienenwaben aus Karton mit gefärbter Wachsmalkreide. Die Objekte fühlen sich an wie aus Wachs. Diese Leidenschaft kann liegend bewundert oder an die Wand gehängt werden. "Der Geruch von Bienenwachs, Propolis und Honig ist einfach unbeschreiblich. Vielleicht suche ich einfach nur eine Form dafür", sagt Sabine Käppler. Die Suche ist Kunstschaffenden eigen. Wonach, wissen sie erst, wenn sie es gefunden haben. Wer Sabine Käpplers Kunst einmal gesehen hat, wird sie nicht mehr vergessen. Sie ist elementar, frei von Schnickschnack. Es ist der Blick hinter die Dinge, der das Unbegreifliche übersetzt. Mehr kann man nicht erreichen.